Mein Weg zur Märchenerzählerin

Maerchenerzaehlerin

Märchen haben mich schon als Kind fasziniert. Ich hatte immer viel Phantasie und habe mich in den Märchen wie zu Hause gefühlt. Aber ich habe keine Erinnerung daran, dass uns Kindern mal Märchen erzählt worden wären. Gelegentlich wurde mal vorgelesen. Aber Märchen waren zu meiner Schulzeit noch ein wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. Und sobald ich lesen konnte, waren Grimms Märchen dran, eines der wenigen Bücher, die es zu Hause gab.
Später sind mir die Märchen dann zeitweilig völlig aus dem Blick geraten. Während des Deutschstudiums wurde dann ein Seminar über Märchen angeboten, aber da wurde nur sprachlich analysiert, literarisch definiert oder psychologisch zerpflückt und kritisch betrachtet.
Insgesamt war während der Siebzigerjahre  der Blick auf Märchen einfach verstellt – sie waren in dieser Zeit verpönt und wurden gern verfremdet und parodiert. Auch mein eigenes Kind bekam kaum Märchen von mir zu hören.
Die Sehnsucht nach der wundersamen Kraft der Märchen aus der frühen Kinderzeit aber blieb – irgendwo tief in meiner Seele. Und endlich, im Zuge einer Psychotherapie, fand ich wieder Zugang. Und dieses Mal fanden die Märchen mich! Plötzlich waren sie da – zuerst alle die Märchen aus der frühen Kinderzeit. Und einige davon bekamen plötzlich eine sehr persönliche Bedeutung für mich und haben mich lange begleitet. Sie fanden Eingang in mein Denken und Träumen – und sie haben mir Erkenntnisse über mich ermöglicht, mir Mut gemacht und Wege aufgezeigt.
2004 hörte ich dann zum ersten Mal einen richtigen Märchenerzähler: Heinrich Dickerhoff, den damaligen Präsidenten der europäischen Märchengesellschaft. Ich war fasziniert! So erzählen zu können – und dann solche wunderbaren Geschichten. Zum ersten Mal hatte ich keltische Märchen gehört! Aber selber erzählen – das habe ich mir noch nicht zugetraut. Erst fünf Jahre später habe ich dann die ersten schüchternen Versuche im Kindergarten gemacht, in dem ich zu der Zeit als Vorleserin von Bilderbüchern aktiv war.
Da das so im Selbstversuch aber keine großen Erfolge brachte und mir auch noch die richtige Technik für das Lernen der Texte fehlte, habe ich 2010 meinen ersten Erzählkurs bei der europäischen Märchengesellschaft gemacht. Diese Erzählkurse habe ich dann kontinuierlich fortgesetzt und gleichzeitig meine ersten öffentliche Erzählveranstaltungen gemacht. Zuerst noch im Kindergarten, dann für Erwachsene – und so langsam entdeckte ich mein Erzähltalent, entwickelte eine Technik zum Lernen der Texte, eine Methode, meine Erzählversuche zu kontrollieren und zu korrigieren. Erwachsenen zu erzählen, hat mich dann beflügelt! Das Erlebnis, erwachsenen Menschen so viel Freude und gute Unterhaltung schenken zu können, war überwältigend für mich. Und mein Gedächtnis funktionierte auf einmal viel besser als jemals zuvor. Ich habe die Märchen in Serie gelernt, als wäre das nichts. Mein Repertoire wuchs und wuchs und die einzelnen Märchen wurden immer länger und in sich komplizierter. Inzwischen ist das Repertoire auf etwa 180 Märchen angewachsen- und es wächst weiter, wenn auch deutlich langsamer.
Das Erzählen selbst und die intensive Arbeit mit den Märchen haben mich verändert. Ich fühle mich ausgeglichener und viel gelassener dem Leben mit all seinen Problemen gegenüber. Was auch immer man über die gute Wirkung der Märchen auf die zuhörenden oder lesenden Menschen sagen kann –von dieser Wirkung bekommen Märchenerzähler bei der intensiven, oft wochenlangen  Beschäftigung mit einem Märchen und natürlich beim Erzählen selbst, sehr viel mehr ab als später ihre Zuhörer! Irgendwie so als würde man den Zaubertrank nicht nur schlückchenweise trinken, sondern wie Obelix darin gewissermaßen „baden“.
Im Jahr 2016 bin ich in die Gilde der Märchenerzähler der europäischen Märchengesellschaft aufgenommen worden. Diese Anerkennung ist mir sehr viel wert. (Liste der Erzähler/innen)